Schilddrüse und Verhalten

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Eva Zaugg, Verhaltenstraining für Menschen mit Hund

Fabienne Fust, med. vet. Verhaltenstierärztin STVV

 

 

Es gibt wohl keine Erkrankung im Zusammenhang mit Verhaltensproblemen beim Hund, die derzeit so viel Furore macht wie die Schilddrüsenunterfunktion SDU. Unumstritten, eine Schilddrüsenproblematik kann zu Verhaltensstörungen führen, insbesondere zu Ängsten, Aggressionen, erhöhter Stressanfälligkeit, verminderter Impulskontrolle, etc.

Es ist aber nicht immer eine Schilddrüsenfunktionsstörung ursächlich, die zu diesen Verhaltenproblemen führt.

 

Einflüsse auf das Verhalten

Viele Faktoren haben Einfluss auf das Verhalten eines Tiers. So zum Beispiel:

  • seine Genetik
  • die Persönlichkeit
  • seine Herkunft, Aufzuchtbedingungen und Vorgeschichte
  • Einflüsse aus dem aktuellen Lebensumfeld
  • unpassende Haltungsbedingungen
  • befriedigte, resp. unbefriedigte Grundbedürfnisse (z.B. Essen, Trinken, sich Lösen dürfen, Schlafen)
  • die Ernährung

 

Auffälligkeiten

Körperliche Erkrankungen, Lernerfahrungen sowie bedingt durch die oben exemplarisch aufgezählten Einflüsse können Verhaltensauffälligkeiten verursachen:

  • Stressintoleranz
  • Erregungszustände
  • schlechte Impulskontrolle und 
  • erhöhte Reizbarkeit, konkrete und umkonkrete Ängste, Trennungs- und Verluststress
  • konkrete und nich nachvollziehbare Aggressionen
  • Tics
  • Unsauberkeit
  • Zerstörung von Gegenständen
  • übermässiges Lecken und Kratzen, andere abnorm repetitive Verhalten.

 

Ursachen

Die Genetik, aber auch mögliche Schocks und Traumata, Einflüsse aus dem aktuellen Umfeld eines Tieres (Menschen, andere Tiere, Umgebung), unpassende Erziehungsmethoden, übermässiges Training, zu viel oder zu wenig Beschäftigung, Schmerzen im Körper und vieles mehr, sind ebenso mögliche Ursachen und müssen in einer Behandlung gebührende Berücksichtigung finden, um die Heilung anzustreben. Das physische und psychische Gleichgewicht muss in erster Linie (wieder) hergestellt werden. Die ganzheitliche Betrachtung des Tiers im Heilungsprozess ist deshalb sehr wichtig!

Krankengeschichte erfassen

Eine verhaltensmedizinische Konsultation ist für das Tier und den Tierbesitzer / die Tierbesitzerin ein wichtiger Weg im Heilungsprozess. Es geht insbesondere darum, Erkrankungen oder schmerzhafte Zustände als Auslöser für Verhaltensauffälligkeiten auszuschliessen und gegebenenfalls in eine Therapie oder in ein Training mit einzubeziehen. Chronische Schmerzen müssen immer ausgeschlossen werden bei Verhaltensproblemen. An Erkrankungen oder Schmerzen muss insbesondere dann gedacht werden, wenn Verhaltensauffälligkeiten "plötzlich" auftauchen, zum Beispiel:

  • zeigt der Hund plötzlich meidendes, ängstlichen Verhalten bei Geräuschen, die bislang kein Problem darstellten
  • reagiert er plötzlich aggressiv auf andere Hunde, Menschen, Gegenstände
  • etc.

Wenn die Auffälligkeiten trotz kontrolliert korrekt umgesetzten und auf das Tier gut angepasste Training nicht besser oder sogar schlechter werden, ist spätestens zu diesem Zeitpunkt eine verhaltensmedizinische Konsultation angezeigt!

Aber auch sich schleichend einstellende Verhalten, zum Beispiel:

  • ein allgemeiner, schwer beschreibbarer, "diffuser" Leistungsabbau
  • mangelnde oder gänzlich ausbleibende Körperpflege
  • verändertes Fress- und/oder Trinkverhalten
  • minimales oder ganz eingestelltes Erkundungsverhalten (der Hund weicht der Bezugsperson nicht mehr von der Seite),
  • schleicht der Bezugsperson auf Spaziergängen hinterher,
  • etc.

sollten wahrgenommen sowie professionell tierärztlich abgeklärt und kompetent begleitet werden.

Dazu braucht es nebst einer genauen klinischen Untersuchung des Tiers häufig eine Blutuntersuchung, manchmal eine Urinuntersuchung falls  nötig weiterführende Diagnostik wie Röntgen, Ultraschall, etc.

Krankheiten und Verletzungen beeinflussen Verhalten

Viele Krankheiten und auch Alterungsprozesse haben Einfluss auf das Verhalten unserer Hunde:

  • Erkrankungen und Verletzungen am Bewegungsapparat (schmerzhafte Gelenke, Muskeln)
  • Hauterkrankungen
  • Augenkrankheiten, die zu Sehproblemen oder Erblindung führen
  • Gehörverlust
  • hormonelle Einflüsse bei der Hündin während der Läufigkeit und/oder Scheinträchtigkeit
  • Erkrankungen der Nieren oder der Leber
  • Erkranken des Nervensystems
  • beginnende oder bestehende Demenz
  • chronische Verdauungsprobleme
  • Infektionskrankheiten
  • Krebs
  • Mangelerscheinungen wie Vitamin B12 Mangel, Eisen- Zink- oder Selenmangel, etc.
  • Fütterungsart, -qualität und -zeiten
  • und tatsächlich Stoffwechselerkrankungen wie die Schilddrüsenunterfunktion, Erkrankungen der Nebennieren oder der Bauchspeicheldrüse

Schilddrüsenproblematik sorgfältig erfassen

Es gibt ausserdem viele Unbekannte bei dem Thema Schilddrüse, wie beispielsweise den Referenzbereich von Normalwerten, unterschiedliche Laborwerte, Dosierungen von Schilddrüsenhormonen etc.

Da diverse andere Erkrankungen, chronische Schmerzen, Medikamente, Hormonstatus, u.a. die Schilddrüse negativ beeinflussen können, ist es ausserordentlich wichtig, eine tierärztliche Abklärung machen zu lassen in Form von

  • eines eingehenden Gesundheitschecks
  • einer Schmerzabklärung sowie 
  • umfassenden Blutuntersuchungen.

Dieses "Gesamtpaket" sollte zur Bewertung von Laborwerten herangezogen werden. Es ist wichtig genau hinzusehen, die Art und die Entstehung der Verhaltensauffälligkeiten zu kennen, sich ein persönliches Bild des Tieres zu machen, wobei auch Herkunft, Umfeld, Alltag und Erziehungs-/Trainingsmethoden angeschaut werden müssen.

 

Von Ferndiagnosen einer Schilddrüsenproblematik einzig anhand von Laborwerten ist dringend abzuraten!

Sie sind teilweise unvollständig. Ausserdem ist es wichtig, das Tier persönlich kennen zu lernen, sein Verhalten zu beobachten und es klinisch zu untersuchen. Nur so kann es in seinem Ganzen erfasst werden.

 

Bei einer allfälligen Substitution mit Schilddrüsenhormonen ist es sehr wichtig, den Hund genau zu kontrollieren mittels regelmässiger Blutuntersuchungen, Gesundheitschecks und allfällige Verhaltensveränderungen des Hundes unter der Hormongabe zu protokollieren.

Schilddrüsenhormone sind nicht harmlos!

Ein unsachgemässer und unkontrollierter Einsatz von Schilddrüsenhormonen kann zu sehr belastenden bis hin zu gefährlichen Nebenwirkungen führen, die keinesfalls unterschätzt werden dürfen. Es sind dies allerlei Symptome wie

  • Durchfall
  • Erbrechen
  • Gewichtsverlust
  • vermehrter Durst
  • Rast- und Ruhelosigkeit
  • Reaktivität
  • Aggressionen
  • bis hin zu Herzproblemen
  • neurologischen Symptomen
  • und Beeinträchtigung anderer Organe

Durch die Förderung der Durchblutung könnte ausserdem ein Wachstum bestehender Tumore angeregt werden!

Hund ist körperlich gesund. Und nun?

Es lohnt sich bei Verhaltensauffälligkeiten eines Hundes genau hinzusehen und Ursachen mit fachkundiger Begleitung anzugehen. Wo Ursachen tatsächlich vorhanden sind, werden diese professionell breit abgestützt betreut. Bestehende Erkrankungen müssen tierärztlich angegangen werden. Sind aber keine gesundheitlichen, klinischen Probleme vorhanden, der Hund ist gesund, dann sollten die Haltungsbedingungen überprüft und optimiert werden:

  • der Umgang mit dem Tier
  • die Art, Qualität sowie Quantität von Trainings und Beschäftigungen
  • bei Bedarf anpassen der Ernährung
  • genügend Raum für ausreichend Schlaf- und Ruhezeiten und
  • einfach Hund sein dürfen!

Nicht selten auch ist weniger oder anderes Training und Beschäftigung, eine andere Trainingsmethode einfach eindeutig mehr, um (belastete) Situationen zu entlasten und mehr Lebensqualität zu schaffen.

Leben mit dem >>Individuum Hund<<

Man kann aber vielleicht auch versuchen, seinen Hund mit dessen Verhaltensproblemen bis zu einem gewissen Grad zu akzeptieren. Besonders wenn die Verhaltensprobleme kein Leib und Leben anderer gefährden.

 

Vielleicht sind einfach geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, eigene Vorstellungen zum Leben mit Hund zu überprüfen und zu revidieren. Ein bulgarischer Strassenhund beispielsweise, der neu in einer Grossstadt leben soll, wird eher nicht oder nur sehr schwer in jeder Situation zum generell gelassenen, souveränen Alltagsbegleiter werden. Er wird wahrscheinlich nicht Freude daran haben, in des Restaurant und jede Strassenbahn geschleppt zu werden. Gerade Hunde aus dem Auslandtierschutz, die oftmals in ihrer Prägung nicht viele oder andere Reize kennengelernt haben, belastende Lernerfahrungen gemacht hatten, werden in unseren dicht besiedelten, hektischen und mit zunehmenden Leinenzwang belegten Breitengraden häufig einfach überfordert und damit stressintolerant.

 

Ängste, Aggressionen, mangelte Impulskontrolle sowie Stressintoleranz rühren also nicht zwingend von gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Dann können solche - meist menschlich verursachten oder mindestens mutgestalteten - Probleme auch nicht durch die Gabe von Schilddrüsenhormonen behoben werden.

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Schilddrüse und Verhalten
Copyright/Autorinnen: Eva Zaugg, Verhaltenstraining für Menschen mit Hund & Fabienne Fust, med. vet., Verhaltenstierärztin STVV
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